Berlin (März 2010)


Die Wiener wären entspannter, die Berliner ebenso. Es täte ihnen beiden so gut. Nicht nur ein paarMonate, sondern länger. Der Sommer ist nicht mehr weit, das bis dahin ist Frühling. Mach endlich Deinen Job Wetter und mach ihn gut. Wenn Du überfordert bist, such um Mindestsicherung an. 15°C und nie wieder darunter bis Ende November. Danke.

 

Es war nicht das erste Mal, die Erwartung somit im erfüllbaren Bereich. Geteilt hatte ich diese Stadt nie besucht, bei all der Ostnostalgie, die bis nach Wien überschwappt, kann einem das fast leid tun. Aber irgendwann bildest Du Dir sogar ein, dass der Militärdienst recht in Ordnung war und noch später, weißt Du sogar, dass dem so war.

Aber als katholischer Internatsschüler (nicht kreuz & quer gelegt), Gewerkschaftsheime und Sonnenland ( = sozialistische Vorfeldorganisation) kannst Du gut mit solchen Institutionen. Wir mussten zwar in der Nacht bei zu großer Lärmentwicklung auch aus dem Bett, allerdings zum Gedichte Auswändig-Lernen und Staffelrechnen (eine beliebige Zahl x2 x3 x4 … x9 dann rückwärts /9 /8 … /2 = Anfangszahl).

Die bösen Erzieher (es waren ausschließlich Männer, bevor die Gender-Polizei jault) gaben Dir höchstens hohe Anfangszahlen, damit war ihr Grad an Grausamkeit schon erreicht. Und das mit den Gedichten ist ein joker fürs Leben, v.a. in Minneperioden.

Samstag vormittag zum Flughafen, mit Anna Netrebko eingecheckt (ehrlich!), aber sie hat mich nicht erkannt. Hab noch überlegt, ob ich „Schöne Reise, Frau Garanca“ anbringen soll, aber obwohl ich hohe Anfangszahlen vorgeben würde beim Staffelrechnen, bin ich dann noch nicht so grausam.

Berlin Tegel, rein in den 128er Bus, rein in den U6-Zug und beim guten Eine wie keine Schauspieler-Freund eingezogen. Dessen Wiener Blondfüchsin war auch zu Besuch, somit WG Atmosphäre. Wohnung irgendwo in Kreuzberg, alles deutsch mit vielen Türken, aber die sympathische Seite des Tums.

Berlin wirkt überhaupt recht lässig, an Vorurteilen nur die beiden Ö1 Diagonalen über Berlin mit den Attributen Vereint, Arm, Sexy und Stadt der Verlierer im Gedächtnis. Einer dieser Plätze wo sich „but-people“ wohlfühlen, also Menschen, die Dir häufig erklären, wenn das und das passiert wäre, aber dann … (reich, erfolgreich, überhaupt). Und solche Leute soll es überproportional in Berlin geben.

Samstag Abends ins Ballhaus Rixdorf, vorher in einer sehr vollen Pizzeria aus sehr kleinen Gläsern guten Wein getrunken. Pizza war sehr gut, meinten die, die eine gegessen haben, ich habe 1 kg Salat mit 500ml Olivenöl und 150ml Essig vorgezogen, weil Pizzakontingent nach Buenos Aires erschöpft, hingegen großes Salatdefizit. Gegen 23h im Rixdorf, Kottbusser Damm 76, 2. Stiege, typisches Industrieloft-Gebäude,… Schöner, großer Saal, noch nicht allzuviel los, was sofort auffiel, war, dass keine Cortinas gespielt wurde, und keine sehr große Dynamik weg und hin zur Tanzfläche war. 

In Buenos Aires sind am Ende einer Tanda völkerwanderungs-ähnliche Zustände, in Berlin hingegen der Personen-Verkehr überschaubar. Also wie in Wien, die Paare wechseln nicht und wenn dann innerhalb ihrer Gruppe, ihres tribes. Ich verurteile das gar nicht, wenn möglich, tanze ich auch lieber mit mir Vertrauten und tänzerisch auf ähnlichem Niveau Befindenden. Neuzugänge tun sich dann eher schwer. Ich war vorgewarnt und das hilft ja schon. Dann war es wie es sein sollte, aber halt doch anders. Ich also hin zur Auserwählten, bei Walzer ohnehin den souveränen Siegerblick auf, und ? Genau, müde war sie, weil grad soviel getanzt, …die ganze Suada. Das verständnisvolle Schauen fällt mir dann immer besonders schwer. Arrogante Norddeutsche! Und was tut die? Statt dass die mich meine Vor-Urteile in Letzt-Gericht-Urteile verwandeln lässt, kommt sie bei der nächsten Tangotanda auf mich zu und meint, jetzt sei sie bereit. Bin also gleich mit der positiven Seite Berlins in Kontakt gekommen, die meinen wohl tatsächlich, was sie sagen, undenkbar in Österreich, von Argentinien red ich erst gar nicht. Trotz der systemischen und autochthonen Hürden (Berliner Tango-Tribes) recht viel getanzt. Niveau wie schon oft verkündet im Vergleich zu Wien um einiges höher, v.a. die Männer. Stimmungsmäßig Wien vorne (knapp), tänzerisch Berlin weit voran (im gleichen Verhältnis wie die Deutschen auch besser Fußball spielen). Aber das taugt uns eh, gemütliches Mittelmaß, und reisen tun die meisten Wiener ohnehin nicht so viel, da fällts dann auch nicht so auf.

Am TJ Pult ein 21 jähriges Wunderkind namens Felix, der auch einen sehr kreativen Tanzstil hat, vielleicht eine Spur zu bemüht lässig. Aber das wird mal ein ganz Großer, raunen die Berliner, na hoffentlich wirds kein But-Schicksal (wenn der früher schon nach Buenos Aires gegangen wäre, aber dann…). Der Betreiber des Rixdorf, Michael Rühl, soll eine der größten Plattensammlungen von Tango Argentinomusik sein eigen nennen, es wurde mir ehrfürchtig die Zahl 30.000 genannt, ich werds nicht nachzählen.

Sonntag früh aufgestanden (um 12) weil ab 13h Brunch. Nette Leute, unpünktlich bin ich selber (aber bei anderen find ichs unmöglich), Hefeweizen zur Weißwurst, Leute weg, von 20 bis 21h PowerNap um den Abend einigermaßen wach zu verbringen und dann um 22h ins Max & Moritz, Oranienstraße 162, ein lt. Eigendefinition Kultur-Wirtshaus. Berlin macht überhaupt den Eindruck als ob es nur aus Kneipen besteht. Die werden schon ihre Pseudo-Nobelitaliener und Griechen haben, aber ich würd dort nicht hingehen. Passt eher zu Frankfurt oder Stuttgart. Pizzeria geht durch in Berlin. Diese Stadt zieht (Lebens)Künstler, Studenten und Ausländer magisch an, wird mit den niedrigen Mieten und Lebenshaltungskosten erklärt, wär schade, wenn das der einzige Grund ist, aber für viele Leute ein Kriterium. Hochverschuldet natürlich und zwar mit sage und schreibe 60 Milliarden EUR, das ist recht viel für eine Stadt würde ich aus dem Bauch heraus sagen. Und da die Rechnung immer wer zahlt, sind das andere Teile Deutschlands, die Berlin finanzieren, damit es so sein kann, wie es ist. Ist doch nett. Ich glaube, dass Berlin glaubt, dass sie schon sehr weit sind in der Entwicklung des korrekten Menschseins in Zeiten wie diesen. Genuss eines Nicht-Bio-Hähnchens führt zu ernsten moralischen inneren Diskursen, das anschließende Unwohl-Sein stellt sich unweigerlich ein. Die Leute in Kreuzberg sind alle sehr ähnlich, bewusst konsumierende, Ressourcen schonende, und (und!) ihr Leben tatsächlich am Fahrradweg riskierend, sofern sie Vorrang haben und das Gesetz auf ihrer Seite wissen. Wie die Lemminge stürzen sie dann vom Fahrrad in den Tod, wenig gepolstert von der glücklichen Schafjacke und den bunten Schals. Mutig. Aber dumm, wenns um eigene Leben geht. Viele auch in so altrosa Plunderhosen mit hellbraunen viel zu runden Schuhen. Mocht ich nie. Schiach.

Auch die sexuelle Orientierung soll überproportional einseitig sein in dieser Stadt. Gut für die Heteromänner, eher schlecht für Heterofrauen (die gut aussehenden sind immer schwul, OK nicht alle :))…In Paris ähnlich. Trotzdem bei aller Überzeichnung. Berlin ist eine geile Stadt, unbedingt besuchen!

Max & Moritz : Musik traditionell, dynamischer als am Samstag, keine Cortinas, Ab- und Zugänge auf der pista ähnlich spärlich wie am Samstag, also die Männer tanzen mit ihren Bevorzugten und das lange. Claudia Rogowski und Matias Facio waren dort (Gäste), sehr angenehm denen zuzusehen, wie auch Mercedes Espinel (Mecha, Ex Tanzpartnerin von el pajaro Diego Riemer). Ich selbst habe eher gegen Ende mehr getanzt und damit die Qualifikation für die Postmilonga geschafft, die in irgendeiner Schwulenkneipe geendet hat. Netter Abend, gute Tänzerinnen. 

Montag Richtung Potsdamer Platz, weil wenn nur einen Tag Tourist, dann aber richtig. Na ja, alles sehr nett, aber irgendwie leblos, Du siehst nicht einmal Hunde dort herumlaufen, es spielen keine Straßenmusikanten, Bettler undenkbar. Richtung Nationalgalerie, die aber zur Sicherheit am Montag geschlossen hat, wie neben Schauspieler-Freund und mir noch ein Österreicher erfahren musste.

Abends zurück nach Wien und in die Pizzeria Venezia zur sog. Milonguita. Ganz nett, v.a. nur 3 Gehminuten von meiner Wohnung. Ein andermal ein ausführlicherer Bericht dieser Veranstaltung.

Diese Woche kommt Ozgur, bin gespannt wie der Zulauf sein wird. Noch ein paar Worte zur Burggarten Milonga, die, weil öffentlicher Platz, jetzt von anderen Veranstaltern organisiert wird. Ich halte das für schlechte Manieren, die Samstags-Veranstalter machen das seit Jahren, haben zahlreiche Kämpfe mit den Parksheriffs ausgefochten und gratis und dort ist eben deren Konzept.. Leider auch die für mich schlecht tanzbare Musik. Es gibt hunderte öffentliche Plätze in dieser Stadt, aber da Frechheit oft siegt, wird sich, eben aufgrund der besseren Musik, wohl die Milonga der neuen Veranstalter durchsetzen. Wie dann im Sommer die Samstage geregelt werden, wird sicher interessant. Vielleicht kann man beide parallel machen und je nachdem in der Nähe welches Lautsprechers man sich gerade befindet, tanzt man halt. Salsa würde auch gut reinpassen und geht alles, weil eh öffentlicher Platz…

Euer Don Xello

Eindrücke Berlin        

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